Stellungnahme der KNAPPSCHAFT zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge
Stellungnahme der KNAPPSCHAFT
I. Vorbemerkung
Mit dem Gesetzesvorschlag wird die Zielsetzung des Koalitionsvertrages umgesetzt, die Beitragslast der betrieblichen Altersversorgung zu reduzieren. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass die Entlastung der Betriebsrentnerinnen und -rentner von allen Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung
finanziert werden soll. Die Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe sollte durch Steuermittel erfolgen.
Die Zielsetzung und Notwendigkeit der gesetzlichen Neuregelung reflektiert auf die Anpassungen zum 1. Januar 2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz), wonach neben den Renten der betrieblichen Altersversorgung nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch für alle anderen Versorgungsbezüge im Sinne des § 229 Absatz Satz 1 Nrn. 1-3 SGB V die volle Beitragspflicht ausgehend vom allgemeinen Beitragssatz (§§ 248 i. V. m. 241 SGB V) eingeführt wurde. Hiervon waren sowohl pflicht- als auch freiwillig versicherte Mitglieder betroffen.
Die aktuelle Entlastung beschränkt sich auf die Renten der betrieblichen Altersversorgung und auf den Personenkreis der pflichtversicherten Mitglieder. Insoweit könnten bei den freiwillig versicherten Mitgliedern und bei den Beziehern einer Versorgungsleistung im Sinne des § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr.
1 – 4 SGB V Begehrlichkeiten für eine Beitragsreduzierung entstehen. Eine von den nicht profitierenden Versorgungsbeziehern veranlasste sozialgerichtliche Überprüfung scheint wahrscheinlich. Die Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung ist mit zahlreichen Änderungen in den bestehenden Melde- und Zahlstellenverfahren verbunden.
Zielsetzung des bisherigen Grenzbetrages nach § 226 Absatz 2 Satz 1 SGB V war es, den Verwaltungsaufwand durch den Verzicht auf die Erhebung und Betreibung von Kleinstbeträgen zu reduzieren, da der Aufwand für die Ermittlung und den Einzug der Beiträge nicht um Verhältnis zum Beitrag selbst stand. Dieser Grundsatz wird mit der gesetzlichen Neuregelung aufgehoben. Es wird Bürokratie aufgebaut, weil wieder Kleinstbeträge verbeitragt werden.
Schließlich wird durch die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung in der Kranken- und Pflegeversicherung der Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ aufgegeben. Dadurch wird weitere Bürokratie aufgebaut.
II. Stellungnahme zum Gesetzesentwurf
Im Einzelnen nimmt die KNAPPSCHAFT zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge wie folgt Stellung:
Fachliche Anmerkungen
Durch die Beschränkung des Freibetrages auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V muss die Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage zur Krankenversicherung in Abhängigkeit des jeweiligen Versorgungsbezuges erfolgen. Beitragspflichtige
Versorgungsbezüge im Sinne des § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1-4 SGB V werden weiterhin in voller Höhe der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterzogen, Versorgungsbezüge der betrieblichen Altersversorgung nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V unterliegen in der Krankenversicherung lediglich mit dem nach Abzug des Freibetrages verbleibenden Teil der Beitragspflicht. In der sozialen Pflegeversicherung unterliegen diese Leistungen allerdings weiterhin in voller Höhe der Beitragspflicht.
Folglich wird durch die alleinige Anwendung des Freibetrages im Bereich der Krankenversicherung eine im Verhältnis zur sozialen Pflegeversicherung abweichende Beitragsbemessungsgrundlage geschaffen, so dass die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei gleichen Einkommensverhältnissen
von unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen erhoben werden. Teilweise können eine Beitragsfreiheit in der Krankenversicherung und eine Beitragspflicht in der sozialen Pflegeversicherung zum Tragen kommen. Demnach wird der Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ durchbrochen.
Das maschinell unterstützte Meldeverfahren zwischen den Zahlstellen von Versorgungsbezügen und den gesetzlichen Krankenkassen (Zahlstellenmeldeverfahren) müsste um die jeweilige Art des Versorgungsbezuges erweitert werden, damit die gemeldete Leistung als betriebliche Altersversorgung durch die Krankenkassen identifiziert und der Freibetrag – insbesondere bei einem mittlerweile gängigen Mehrfachbezug – nach vorheriger Meldung der Krankenkasse durch die Zahlstelle entsprechend angewandt werden kann. Aber auch in Bezug auf Selbstzahler, wenn die betriebliche Altersversorgung als Kapitalleistung zur Auszahlung gelang, ist die Kenntnis über die Art des Versorgungsbezugs für eine korrekte Beitragsbemessung durch die Krankenkasse unerlässlich. Hier wäre zu prüfen, ob dies mit einer Erweiterung des § 202 Absatz 1 Satz 1 SGB V verbunden ist oder eine Anpassun der gemeinsamen Grundsätze sowie der Datensatzbeschreibung ausreichend ist.
Letztendlich ist bei Bezug mehrerer betrieblicher Altersversorgungen der Freibetrag anteilmäßig auf alle Leistungen aufzuteilen.
Anmerkungen zur Finanzierung
Der GKV entstehen ab dem Jahr 2020 Beitragsmindereinnahmen von rd. 1,2 Mrd. Euro. Die Abschmelzung der Entnahmen aus der Liquiditätsreserve von 2021 um jährlich 300 Millionen Euro auf 0 Euro im Jahr 2024, bedeutet eine zusätzliche Belastung aller zusatzbeitragspflichtigen Mitglieder der GKV.
Jahr | Entnahme Liquiditätsrücklage | Zusätzliche Belastung GKV (zusatzbeitragsrelevant) | Kumulierte Belastung (zusatzbeitragsrelevant) |
2021 | 900 Mio. € | 300 Mio. € | 300 Mio. € |
2022 | 600 Mio. € | 600 Mio. € | 900 Mio. € |
2023 | 300 Mio. € | 900 Mio. € | 1 800 Mio. € |
2024 | 0 Mio. € | 1 200 Mio. € | 3 000 Mio. € |
Die Entlastung der Betriebsrentnerinnen und -rentner würde somit zu Lasten aller Mitglieder der GKV führen, da Zusatzbeitragssatzerhöhungen unvermeidlich sind. 1 523 Millionen Euro entsprechen 0,1 % Zusatzbeitragssatz. Kumuliert ergibt sich bis 2024 eine Erhöhung um 0,2 Prozentpunkte.
Die politisch gewollte Steigerung der Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Gegenfinanzierung ist daher über Steuermittel sicherzustellen. Sowohl die Finanzierung aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds, als auch die direkte Finanzierung
aus den laufenden Beitragseinnahmen wird daher von der KNAPPSCHAFT abgelehnt.
Anmerkungen zum Inkrafttreten
Eine Umsetzung zum 1. Januar 2020 ist vor dem Hintergrund der erforderlichen Softwareanpassungen nicht möglich, da durch die gesetzliche Neuregelung die Beitragsbemessungsgrundlagen für die Kranken- und Pflegeversicherung unterschiedlich ausgestaltet sind und insoweit tiefergehende Eingriffe
in die bestehende Software bei den Arbeitgebern/Zahlstellen von Versorgungsbezügen und den gesetzlichen Krankenkassen erforderlich sind. Nach derzeitiger Rechtslage wird den Zahlstellen von Versorgungsbezügen allein bei der Änderung des kassenindividuellen Zusatzbeitragssatzes eine Vorlaufzeit
von zwei Kalendermonaten eingeräumt.
Vor dem Hintergrund der weiteren Anpassungen zum Jahreswechsel 2019/2020 (Krankenversicherung der Studenten - KVdS) sowie im Laufe des Jahres 2020 für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 (maschinelles Meldeverfahren Krankenkassenwahlrecht / maschinelles Meldeverfahren KVdS) wird ein
Inkrafttreten der Regelung frühestens zum 1. Januar 2021 als sportliches aber durchaus realistisches Ziel angesehen.