Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte
Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung ergänzen ihre bisherige Auffassung zur beitragsrechtlichen Berücksichtigung eines arbeitsrechtlichen Anspruchs auf Mehrarbeitszuschläge von Teilzeitbeschäftigten (vgl. TOP 4 der Niederschrift zur Besprechung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 18. März 2020).
Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung
Zum Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung gehören alle laufenden Einnahmen (z. B. Löhne und Gehälter) und einmaligen Einnahmen (z. B. Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld), die im Rahmen einer Beschäftigung gezahlt werden. Hierbei ist es unerheblich, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung sie geleistet werden oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Auch ist es gleichgültig, ob tatsächlich Geld gezahlt bzw. überwiesen wird oder Sachleistungen (z. B. eine Wohnung oder freie Verpflegung) zur Verfügung gestellt werden. Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind demnach auch Mehrarbeitszuschläge.
Teilzeitbeschäftigte dürfen in der Regel nicht schlechter gestellt sein
Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbar vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Eine Ausnahme hierzu gibt es, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist hierbei Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht (§ 4 Absatz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 19. Dezember 2018 (10 AZR 231/18) zu den Regelungen über Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte entschieden, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht.
Grundlage hierfür war die Klage einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin in der Systemgastronomie mit einem Jahresarbeitszeitkonto. Für Arbeitszeiten oberhalb des Jahresarbeitssaldos hat der Arbeitgeber zwar die Grundvergütung geleistet, tariflich verankerte Mehrarbeitszuschläge jedoch nicht, da die Arbeitszeit insgesamt nicht die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit erreichte. Hierzu hat das BAG im Sinne der Arbeitnehmerin entschieden und festgelegt, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit ebenso einen Anspruch auf die tariflichen Mehrarbeitszuschläge haben, wenn die tatsächliche Arbeitszeit die individuell festgelegte Arbeitszeit überschreitet.
Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben bisher aus dem Urteil des BAG abgeleitet, dass es gegen den Diskriminierungsgrundsatz von Teilzeitbeschäftigten spricht, wenn diese Teilzeitbeschäftigten Mehrarbeitszuschläge nur dann erhalten, wenn ihre Arbeitszeit der monatlichen oder jährlichen Teilarbeitszeit über die Vollarbeitszeit hinausgeht. Teilzeitbeschäftigte hatten daher bisher ebenso einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die über die vertraglich vereinbarte Teilarbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit.
Mittlerweile sind zu der Thematik mehrere Revisionen beim BAG anhängig (6 AZR 332/19, 6 AZR 253/19 und 6 AZR 254/19). Den Revisionen liegen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Nürnberg zugrunde, wonach für die Vereinbarkeit einer Regelung über Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte eine vereinbarte konkrete Zweckbestimmung der Zuschläge zu berücksichtigen ist. Das Landesarbeitsgericht begründet diese Auffassung auch unter Verweis auf das Urteil des BAG vom 19. Dezember 2018, wonach eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten nur gerechtfertigt sein kann, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Dabei kommt es nicht auf die denkbaren Zwecke an, die mit der betreffenden Leistung verfolgt werden können, sondern auf diejenigen, um die es den Tarifvertragsparteien bei der betreffenden Leistung nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen Willen geht. Der Zweck ist der von den Tarifvertragsparteien vorgenommenen ausdrücklichen Zweckbestimmung der Leistung zu entnehmen oder durch Auslegung der Tarifnorm - anhand von Anspruchsvoraussetzungen, Ausschließungs- und Kürzungsregelungen - zu ermitteln.
Unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten unter Umständen gerechtfertigt
Nach der Rechtsprechung des BAG ist die unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten unter zwei Voraussetzungen gerechtfertigt:
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Die tarifliche Regelung muss den Zweck haben, besondere Belastungen auszugleichen, die entstehen, wenn Beschäftigte über die von den Tarifvertragsparteien vorgegebene tarifliche Arbeitszeit hinaus tätig würden. Zugleich müsse die Tarifnorm zum Ziel haben, den Arbeitgeber von einer solchen übermäßigen Inanspruchnahme abzuhalten.
- Wird demgegenüber der Zweck verfolgt, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten, ist eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt, weil sich dieser Zweck in gleicher Weise auf Teilzeit- und Vollzeitkräfte bezieht.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichtes konnte das BAG in Bezug auf den der Entscheidung vom 19. Dezember 2018 zugrundeliegenden Manteltarifvertrag für Systemgastronomie nicht erkennen, dass die Mehrarbeitszuschläge dem Ausgleich besonderer Belastungen dienen sollen, wenn Arbeitnehmer über die tarifliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus tätig werden. Die Auslegung dieses Tarifvertrages hat nach Auffassung des BAG ergeben, dass mit den Mehrarbeitszuschlägen der Zweck verfolgt werden solle, Einbußen der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und den Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten.
Vor dem Hintergrund der unter Umständen gebotenen Differenzierung bei der Zweckbestimmung von Mehrarbeitszuschlägen halten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung an ihrer bisherigen Meinung nicht uneingeschränkt fest. Bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in den anhängigen Revisionsverfahren soll die beitragsrechtliche Berücksichtigung eines arbeitsrechtlichen Anspruchs auf Mehrarbeitszuschläge von Teilzeitbeschäftigten von der konkreten Zweckbestimmung der Mehrarbeitszuschläge abhängig gemacht werden. Nur wenn zweifellos der Zweck verfolgt wird, Einbußen der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten, wäre bei Teilzeitbeschäftigten bereits für über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit von einem Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge auszugehen.
Mehr Infos
Zum Besprechungsergebnis >> (PDF, 181KB) der Spitzenorganisationen über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 18. März 2020 - TOP 4
Zum Besprechungsergebnis >> (PDF, 23KB) der Spitzenorganisationen über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 20. November 2019 - TOP 3